Weltkrebstag - Im Interview spricht Dr. Kuntz über Früherkennung, Therapiemethoden und Ursachen
Herr Dr. Kuntz, das Motto des diesjährigen Weltkrebstages lautet „Wir können. Ich kann.“ Es steht dafür, dass Menschen durch einen gesunden Lebensstil dazu beitragen können, vielen Krebsarten vorzubeugen. Wodurch lässt sich das Risiko einer Erkrankung denn konkret senken?
Dr. Christian Kuntz: Sie können zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken, ganz einfach vermindern, indem Sie das Rauchen aufgeben. Bei Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs oder Dickdarmkrebs gibt es wiederum gute Vorsorgeprogramme. Für den Gebärmutterhalskrebs existiert zudem eine Impfung. Sport und eine gesunde Ernährung können dazu beitragen, das Risiko einer Krebserkrankung deutlich zu reduzieren.
Doch selbst, wer rundum gesund lebt, kann an Krebs erkranken. Statistisch gesehen erhält jeder Dritte in seinem Leben eine solche Diagnose. Welche Ursachen hat die Krankheit also noch?
Dr. Kuntz: Es gibt unter anderem genetische Ursachen. Sie finden typischerweise Familien, in denen Familienmitglieder aus verschiedenen Generationen an Krebs erkranken. Bei manchen Krebsarten ist das eindeutig belegt. Beim Brustkrebs gibt es beispielsweise Frauen, die bestimmte genetische Veränderungen haben. Diese können Sie auch schon bei deren Kindern nachweisen. Dann gibt es Familien, in denen zwar vermehrt Krebserkrankungen auftreten, für die man aber noch nicht die entscheidenden genetischen Veränderungen entdeckt hat und bei denen man daher nur annehmen kann, dass es sie gibt. Und wir haben eine große Zahl spontaner Krebserkrankungen, für die es keine wirkliche Erklärung gibt. Darüber hinaus gehen einige typische Krebserkrankungen aber auch auf uns Menschen zurück. Nach der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl hat zum Beispiel die Rate der Schilddrüsenkarzinome in Gegenden, wo die radioaktive Wolke besonders stark ausgebildet war, deutlich zugenommen.
Wie hat sich die Zahl der Krebsneuerkrankungen denn insgesamt in den letzten Jahren entwickelt?
Dr. Kuntz: Sie ist noch leicht steigend. Wenn Sie die Zahlen der Deutschen Krebsgesellschaft betrachten, sehen Sie von 2006 bis 2013 eine kontinuierliche Zunahme aller Krebserkrankungen. Allerdings, und das ist das Tröstliche, hat sich die Zahl in den letzten Jahren auf einem hohen Niveau eingependelt. Bei den Frauen gab es von 2010 bis 2013 allerdings einen deutlicheren Anstieg der Fallzahlen als bei den Männern. In der Summe ist somit noch eine leichte Steigung vorhanden, aber diese ist nicht mehr so stark wie noch in den 90er-Jahren.
Worin liegen aus Ihrer Sicht die Gründe für diesen Anstieg?
Dr. Kuntz: Die verschiedenen Krebsarten haben typische Häufigkeitsgipfel, viele von ihnen treten jedoch in einem höheren Lebensalter auf. Dadurch, dass die Bevölkerung älter wird – und hier gerade auch die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge –, erreichen mehr Menschen diese Häufigkeitsgipfel. In der Folge verzeichnen wir logischerweise auch mehr Erkrankungen. Darüber hinaus nimmt beispielsweise auch die Zahl der Frauen, die an Lungenkrebs erkranken, zu. Das liegt wiederum daran, dass das Rauchen unter Frauen in den letzten 20 bis 30 Jahren genauso emanzipatorisch geworden ist, wie viele andere Dinge in unserer Gesellschaft auch. Somit steigt die Rate aller durch Nikotin verursachten Erkrankungen bei Frauen noch deutlich.
Bei den Neuerkrankungen im Kreis – und auch hessenweit – war Brustdrüsenkrebs 2014 die häufigste Krebsart bei den Frauen, bei den Männern war es Prostatakrebs. Spiegeln diese Zahlen einen grundsätzlichen Trend wider?
Dr. Kuntz: Dieses Bild bei den Neuerkrankungen ist in der Tat über Jahre konstant. Das belegen wiederum die Zahlen der Deutschen Krebsgesellschaft. Seit 2006 war in jedem der aufgeführten Jahre Prostatakrebs bei den Männern und im gleichen Zeitraum Brustkrebs bei den Frauen die häufigste Krebsart. Das liegt daran, dass Brust und Prostata anfällig sind. Organe wie diese beiden, die sich selbst erneuern, indem sie Zellen abstoßen und wieder aufnehmen, machen häufiger Reparaturen durch und bei diesen Wachstumsprozessen passieren auch immer wieder Fehler während der Zellteilung. Aus diesem Grund gibt es bestimmte Organe, die öfter von Krebs betroffen sind als andere.
Gibt es denn einen Zusammenhang zwischen dem Alter der Patienten und der Zahl der Neuerkrankungen?
Dr. Kuntz: Dazu muss man sich die einzelnen Krebsarten genauer anschauen. Der Prostatakrebs ist typscherweise ein Krebs des alten Mannes. Bei einem Menschen unter 60 finden Sie ihn nur ganz selten, im Normalfall tritt er erst ab dem 70. Lebensjahr auf. Dickdarmkrebs tritt hingegen meist zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr auf. So hat jede Art von Krebs ihr eigenes, typisches Erkrankungsalter. Das schließt nicht aus, dass man eine bestimmte Krebsart auch zu einem anderen Zeitpunkt bekommen kann, aber das ist deutlich seltener. Grundsätzlich kann man sagen, dass ein junger Mensch ein deutlich geringeres Risiko hat, an Krebs zu erkranken als ein älterer.
Sie haben bereits einige Faktoren genannt, die das Risiko einer Neuerkrankung minimieren können. Welche Rolle spielen dabei die Früherkennungstests?
Dr. Kuntz: Gute Vorsorgeuntersuchungen, die von der Kasse für die gesamte Bevölkerung angeboten und beworben werden, gibt es zunächst einmal nur für Brust-, Darm-, Gebärmutterhals- und Hautkrebs. Insbesondere für Dickdarmkrebs gilt: Früherkennung ist die beste Möglichkeit, um Leben zu retten. Die effektivste Methode ist eine Darmspiegelung. Für alle anderen Tumoren existieren noch keine geeigneten Untersuchungsverfahren, um den Krebs in einem frühen Stadium festzustellen und gleich zu behandeln. Wenn Sie sich nun die Zahlen der Brustkrebsneuerkrankungen anschauen, fällt auf, dass die Rate von 2006 bis 2008 deutlich zugenommen hat, mittlerweile aber stagniert. Dasselbe gilt für den Darmkrebs. Da ist es sogar so, dass die Anzahl der Neuerkrankungen bei Frauen leicht abnimmt, von 32 000 Neuerkrankungen 2006 auf 27 000 im Jahr 2013. Bei Männern ist diese Entwicklung ganz ähnlich. Ich glaube, das ist das Ergebnis des guten Vorsorgeprogramms, das in Deutschland Anfang der 2000er Jahre aufgelegt wurde. Und das, obwohl nach wie vor nur 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung dieses Angebot wahrnehmen.
Nun werden aber auch Therapiemethoden immer effektiver. Das Kreiskrankenhaus in Weilburg ist spezialisiert auf operative Eingriffe. Welche Neuerungen gab es in diesem Bereich in den letzten Jahren und was bedeutet das mit Blick auf die Heilungschancen?
Dr. Kuntz: Wir setzen seit etwa zwei Jahren 3-D-Technik bei minimal-invasiven Eingriffen (Schlüssellochchirurgie) im Bauchraum ein. Dazu nutzen wir Polarisationsbrillen. Die 3-D-Technik ermöglicht uns ein noch präziseres und sichereres Operieren als bisher, denn die räumliche Wahrnehmung führt zu einer verbesserten Hand-Augen-Koordination. Das ist von Vorteil, wenn Sie beispielsweise im Bauch nähen müssen. Ob technische Neuerungen letztlich für den einzelnen Patienten Vorteile bringen, ist immer schwer zu sagen. Das hängt von vielen Faktoren ab. Die Schwere von Nebenerkrankungen spielt beispielsweise eine große Rolle. Letztlich gilt neben allen technischen Neuerungen, dass die Erfahrung des behandelnden Arztes von entscheidender Bedeutung ist. In der Summe würde ich jedoch sagen, dass der technische Fortschritt in der Krebstherapie auch die Heilungschancen verbessert.
Weilburger Tageblatt vom Sonntag, 4. Februar 2018 von Stefan Schalles
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